Es ist schwer, einen Blog-Eintrag zum gestrigen Abschiedsspiel jenes Mannes zu verfassen, den sie im Westen Wiens zum „Fußballgott“ geadelt haben. Wo fängt man an? Bei der Tatsache, dass der Mann in Pflichtspielen sage und schreibe 540 Mal das grün-weiße Trikot übergestreift hat? Damit, dass er mit einer tatsächlich sehr kurzen Pause insgesamt im heutigen Profi-Fußball nahezu unglaubliche 16 Jahre bei ein und demselben Verein, nämlich Rapid gespielt hat?
Pfingstsonntag
Egal, lassen wir den gestrigen Tag Revue passieren. Pfingstsonntag Nachmittag, schönstes Fußballwetter, ab nach Hütteldorf. Schon auf dem Weg dorthin ein Gefühl, das nicht alltäglich ist. Es liegt historisches in der Luft. Eine Saison, die keineswegs als gelungen bezeichnet werden kann, geht dem Ende zu. Mit dem Abschied von ihm. SHFG. Zwei Tage nach Geburt meines Sohnes hat er sein Debut für Rapid gegeben und das zeigt die Dimensionen ein wenig auf. Der Bursch, der mir gegenüber in der U-Bahn sitzt, so wie bei jedem Heimspiel seit Jahren, kennt das gar nicht, eine Rapid ohne ihn. SHFG. Kurz vor Verlassen der Wohnung auf dem Smartphone noch ein Interview mit Trainer „Gogo“ Djuricin gelesen. Natürlich werde Hofmann zum Einsatz kommen, das habe er sich verdient. Ha. Das habe er sich verdient. Hätte er sich nicht überhaupt mehr Einsätze verdient, in dieser, seiner letzten Saison? Der Mann, der vor Leidenschaft noch immer brennt und der die Rapid-Tugenden verkörpert wie kaum ein anderer in den letzten Jahren? Egal. Er wird heute spielen. Vielleicht nicht von Beginn an, aber er wird spielen. Ein letztes Mal in „seinem“ Stadion in einem Bewerbsspiel. SHFG.
Ankunft
Ankunft in Hütteldorf, buntes Treiben vor der Arena, so wie immer. Nein, nicht ganz. Die 11er-Dichte bei den T-Shirts ist ausgeprägter, viele tragen ein Leiberl mit seinem Konterfei. SHFG. Und irgendwie hat alles etwas Feierliches. Drinnen gespannte Erwartung. Immerhin haben die Ultras als Anführer der aktiven Fangruppen angekündigt, ihm einen würdigen Abschluss bereiten zu wollen. Ihm, der die Nähe zu den Fans immer gesucht hat und der sich – längst schon Star und uneingeschränkter Hero des Vereins – dereinst einmal mitten unter sie gemischt hat. Ja, er stand einmal mitten im Block West, der Mann, den sie im Westen Wiens zum Fußballgott geadelt haben. Schon vor dem Spiel großes Tamtam. Der Verein ehrt die Abgehenden, unter ihnen auch Louis Schaub und Joelinton. Schade vor allem für Erstgenannten, dass sein Abschied ein wenig untergeht. Aber heute ist eben sein Tag. „Steffen Hofmann Fußballgott!“ schallt es durch’s Weststadion und die aktiven Fangruppen haben tatsächlich eine beeindruckende Choreographie vorbereitet. Weiße, grüne und schwarze Papierbögen, die, von den auf den Rängen im Block West Stehenden hochgehalten, ein beeindruckendes Bild abgeben. Die vierköpfige Familie (auch Frau und Tochter sind heute dabei) wird noch in Jahren wissen, dass wir weiße Papierbögen in die Luft gehalten haben und so ein Teil der Inszenierung sein durften.
Beginn
Das Spiel beginnt und die Hütteldorfer lassen keinen Zweifel, dass das heute eine klare Sache zu werden scheint. Schon eine Viertelstunde nach Spielbeginn steht es dank Joelinton 2:0, das Stadion würde ihn an einem normalen Tag wohl gewaltig hochleben lassen. Natürlich jubelt man und natürlich bekommt er seinen Applaus. Aber tatsächlich wartet alles nur auf ihn. SHFG. Vor der Pause noch ein Gegentreffer, der wird aber weitgehend ignoriert.
Erwartung
Zweite Halbzeit, das Spiel plätschert dahin, Rapid ungefährdet. Die Fangesänge freilich, die schwellen weiter an. Es ist mir nicht erinnerlich, dass ein Spieler über 45 Minuten und darüber hinaus ausnahmslos allein besungen wird. In die Sprechchöre mischt sich Ungeduld. Nachdem man die Brüder von Nürnberg besungen hat wird der Trainer per „Gogo, was is mit Dir!“ an seine heutige Pflicht erinnert. In der 59. Minute stellt Kapitän Schwab auf 3:1 und nach weiteren quälenden sieben Minute ist es so weit. Er kommt. SHFG.
Märchen
Das Stadion ist vor dem Explodieren. Da ist er, der Mann, dessen Einsatz sie in den letzten Monaten allzu oft umsonst gefordert haben, der Mann den sie zum Fußballgott geadelt haben, der Mann dem sie heute einen Abschied bereiten, der wohl nicht nur bei eingefleischten Grün-Weißen für Gänsehaut sorgt. Und dann, Minute 73, das Unglaubliche, das Klischeehafte, das – ja – Kitschige passiert. Hofmann setzt mit dem 4:1 den Schlusspunkt unter eine Karriere, die so versöhnlich und schön endet, wie es jeder Hollywood-Romanze zu ehren gereichen würde. Die folgende Rapid-Viertelstunde ist heute ihm geweiht und zugedacht und was danach folgt gehört zu den Geschichten, die in dieser Form vielleicht nur der Fußball schreibt. In der Nachspielzeit werden Louis Schaub und Hofmann vom Platz geholt und Rapid spielt die letzten Sekunden zu neunt. Ersterer bekommt Standing ovations, Zweiterer wird zu diesem Zeitpunkt so und so schon von einer Welle der Euphorie und Dankbarkeit durchs Stadion getragen. Der Block West und alle, wirklich alle im Stadion (bis auf den Altach-Sektor) feiern den „Fußballgott“. Es ist einer jener seltenen Momente, wo Sitz- und Stehplatz vereint sind, wo VIP-Tribüne und Fansektor sich vollkommen gemein machen: „Steffen Hofmann – hörst Du das Stadion? – Steffen Hofmann ganz Wien steht zu Dir!“ (Dass der Altach-Coach diese Wechsel nach dem Match als Verhöhnung des Gegners bezeichnet, geht als traurige und peinliche Randnotiz in die Geschichte ein. Hoffen wir, dass dieser Provinzklub bald nicht mehr erstklassig ist!)
Jubel, Trubel, Tränen, Dankbarkeit
Der Schlusspfiff. Der Jubelreigen steigt ins Unermessliche, die Familie des Ehrenkapitäns läuft auf das Spielfeld, direkt in die Arme des Abschied Nehmenden, der längst schon und nicht das erste Mal in diesen Tagen, Tränen in den Augen hat. Die Ultras ehren ihn am Spielfeld, der Verein ehrt ihn, er zieht mit seinen beiden Töchtern, seinem Sohn und seiner Frau eine Ehrenrunde. Die Standing ovations enden nicht, irgendwann gibt er dann Andy Marek noch ein Interview. „Ich danke Euch, lang lebe Rapid“ sagt er zum Schluss und man hat den Eindruck, dass dieser nicht eben groß gewachsene Spieler noch immer das ist, was er immer schon war. Ein bescheiden gebliebener bodenständiger Familienmensch, der das alles irgendwie noch verarbeiten muss.
Danke Steffen!